Räumungsdrohung gegen Rigaer 94 – die Lügen von Polizei und Innensenator, Teil 1

Öffnet die Büchse der Pandora, Frank Henkel

Innensenator Frank Henkel steht kurz davor, die Büchse der Pandora zu öffnen und einem Polizeieinsatz mit ungewissen Folgen grünes Licht zu geben. Aus anarchistischer Perspektive ist es natürlich unbedeutend, dass Polizei und Innensenator seit dem 13. Januar mit einem flexiblen Verhältnis zur Wahrheit die Räumung der Rigaer 94 vorbereiten, dass die Presse oft eher Desinformationen verbreitet ebenso und an einer parlamentarischen Lösung des Problems besteht kein Interesse.

Trotzdem ist eine Untersuchung der in diesem Zusammenhang verbreiteten Lügen wichtig, denn auch Menschen, die nicht dem anarchistischen Spektrum zuzurechnen sind, werden von den Räumungsplänen und dem damit verbunden Chaos in Berlin betroffen sein.

Für zukünftige Auseinandersetzungen im stadtpolitischen Spannungsfeld ist es interessant, den Aufbau des Bedrohungsszenarios durch die Arroganz der Herrschenden zu kennen und Überlebensstrategien im permanenten Ausnahmezustand zu finden.

Im Folgenden werden die Aussagen von Polizeisprechern und Innensenator auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht. Diese Aussagen sind nur durch die Medien überliefert und durch die Beantwortung von Anfragen im Abgeordnetenhaus.

Der „Angriff“ auf den Kontaktbereichsbeamten am 13. Januar

„Daraufhin verlangte der Polizist die Ausweise. Der Mann soll sich dann vermummt und zusammen mit seiner Begleiterin auf den Beamten eingeschlagen haben. Zwei weitere Hausbewohner kamen hinzu und sollen ebenfalls auf den Polizisten eingeprügelt und ihn sogar Richtung Hauseingang gezogen haben.“

Erstmeldung 13.01.2016, 13:56 , http://www.bz-berlin.de/berlin/friedrichshain-kreuzberg/friedrichshain-polizist-in-rigaer-strasse-attackiert

„In Friedrichshain ist ein Polizeibeamter auf der Straße brutal angegriffen und verletzt worden. Die Angreifer verschanzten sich anschließend in dem Haus Nummer 94. Der Polizist wurde leicht verletzt und musste ambulant behandelt werden. Als zwei weitere Personen aus dem gleichen Haus traten, schlossen diese sich dem Angriff sofort an und brachten den Polizisten mit Schlägen zu Boden. Danach soll der bereits am Boden liegende Beamte mehrfach getreten worden sein.“

13.01.2016, 14:51, http://www.morgenpost.de/berlin/article206918459/Polizist-stellt-Knoellchen-aus-und-wird-niedergeschlagen.html

„Laut Polizei wollte der Polizist, ein sogenannter Kontaktbereichsbeamter, am Mittwochmittag einen Strafzettel wegen Falschparkens ausstellen. Dann näherte sich ihm ein maskierter Mann. Der Polizist fragte ihn nach seinem Ausweis, doch in diesem Moment sei er von zwei weiteren Männern und einer Frau angegriffen worden. Der Polizist sei gestürzt und dann geschlagen, getreten und verletzt worden.“

14.01.2016, http://www.berliner-zeitung.de/berlin/razzia-in-berlin-friedrichshain-polizisten-suchen-in-der-rigaer-strasse-nach-wurfgeschossen,10809148,33521440.html

„Von der Bäckerei aus war auch zu sehen, dass am Mittwochmittag ein Kontaktbereichsbeamter angegriffen wurde, der Parkverstöße geahndet hatte. „Verprügelt wurde der nicht, eher geschubst“, sagt der Bäckerei-Inhaber.

14.01.2016, http://www.berliner-zeitung.de/berlin/berlin-friedrichshain-die-nachbarn-in-der-rigaer-strasse-sind-gelassen,10809148,33525716.html

„Blitzschnell vermummt sich der Pöbler, zieht sich eine Sturmhaube über das Gesicht, drei weitere Gestalten tauchen auf und greifen den Polizisten an, werfen ihn zu Boden und attackieren ihn mit Fußtritten. Der Beamte muss in einer Klinik behandelt werden, hat aber letztlich noch Glück, da er die brutale Attacke mit leichten Verletzungen übersteht.“

17.01.2016, 10:00, http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.berlin-inseln-der-anarchie.08aa9833-0928-48d5-a1fa-be51dff0f010.html

„Die Aufklärung der Tatumstände, zu denen auch das Verletzungsbild des Opfers zählt, ist Gegenstand eines laufenden Strafermittlungsverfahrens. Hierzu erteilt der Senat derzeit, aus ermittlungstaktischen Gründen keine Auskunft. Der Kontaktbereichsbeamte hat seinen Dienst fortgesetzt.“

Drucksache 17 / 17765, Antwort des Innensenators auf die Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Christopher Lauer (Piraten)

https://linksunten.indymedia.org/en/system/files/data/2016/02/1649386594.pdf

Wie es wirklich war

Der Kontaktbereichsbeamte versuchte vier Menschen zu kontrollieren. Als er sie festhalten wollte ist er hingefallen ohne sich zu verletzen. Aus vielen Strafverfahren ist bekannt, werden Polizeibeamte verletzt, dokumentiert die Behörde diese Verletzungen photographisch. Es wird nie ein ärztliches Attest oder anderes Dokument auftauchen, dass Verletzungen dieses Beamten beweist.

Auch einen Monat nach dem Vorfall war die Innenbehörde nicht in der Lage etwas über die Art der angeblichen Verletzung des Kontaktbereichsbeamten mitzuteilen.

Durchsuchung der Rigaer 94

„Gegen Mitternacht ist der Einsatz beendet, drei Personen werden vorläufig festgenommen. Der Einsatz geschah auf Grundlage des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes. Laut Polizei werden dabei Flure, Hof und Dach des Gebäudes abgesucht.

Doch Martin Henselmann, Anwalt der Bewohner, behauptet, es seien auch Wohnungen durchsucht worden: „Das habe ich ja selbst gesehen und erlebt.“ Polizeisprecher Thomas Neuendorf bestreitet das: „Nein, dass Wohnungen durchsucht worden sind, ist uns bislang nicht bekannt.

14.01.2016, 18:36 http://www.bz-berlin.de/berlin/friedrichshain-kreuzberg/nach-der-razzia-griffen-chaoten-in-der-rigaer-ein-paerchen-an

„Da kein Durchsuchungsbeschluss vorlag, führte die Polizei laut Redlich eine sogenannte Hausbegehung nach dem Allgemeinen Sicherheit- und Ordnungsgesetz (ASOG) durch. Sie schaute demnach nur den Hof, Dach und die Flure an und suchte nach gefährlichen Gegenständen. Der Einsatz diene als Maßnahme der Gefahrenabwehr, nicht um die Täter zu fassen. „Wir werden klarstellen, dass man einen Polizisten nicht angreift“, sagte Redlich. Während des Einsatzes kam es zu keinen größeren Zwischenfällen.“

14.01.2016, 09:21, http://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/nach-attacke-auf-polizeibeamten-sek-durchsucht-rigaer-strasse-94-in-friedrichshain/12825772.html

„Bei Personenkontrollen in der Rigaer Straße in Friedrichshain hatten Linksautonome einen Polizisten angegriffen. Um die Täter zu fassen, musste sich ein Spezialeinsatzkommando Zutritt zum Wohnprojekt „Rigaer 94“ verschaffen. „Wir dulden keine Rückzugsräume für Gewalttäter, die Polizisten niederschlagen“, sagte Polizeisprecher Stefan Redlich am Abend. Bei der Maßnahme handele es sich um eine Begehung des Gebäudes nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz.“

13.01.2016, http://www.berliner-zeitung.de/polizei/linksextreme-greifen-polizisten-an-500-polizisten-stuermen-haus-in-der-rigaer-strasse-,10809296,33514688.html

„Er dulde in Berlin keine rechtsfreien Räume, hatte Henkel am Donnerstag. Daher sei der Polizeieinsatz „richtig und verhältnismäßig“ gewesen, betonte der CDU-Politiker. „Ein Polizist ist angegriffen worden und darauf haben wir reagiert.“ Der Rechtsstaat dürfe solche Handlungen nicht unterlassen.“
14.01.2016, https://www.rbb-online.de/panorama/beitrag/2016/01/attacke-auf-polizist-rigaer-strasse-berlin-friedrichshain.html

„Wir werden in Berlin keine Rückzugsräume für Straftäter dulden“, erklärte der Sprecher der Berliner Polizei, Stefan Redlich, am Abend. Deswegen habe man sich entschlossen, das Haus „zu begehen und nach gefährlichen Gegenständen zu suchen“. Die Maßnahme beschränke sich aber auf den Hausflur und den Innenhof des Gebäudes – in die Wohnungen werde man nicht eindringen, schließlich liege auch kein Durchsuchungsbeschluss vor. „Es geht darum, hier Entschlossenheit zu demonstrieren, wir werden klarstellen, dass man einen Polizisten nicht angreift.“

14.01.2016, https://www.taz.de/!5265835/

„Während des Einsatzes nahm die Polizei fünf Personen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung fest.“

14.01.2016, http://www.berliner-zeitung.de/berlin/berlin-friedrichshain-die-nachbarn-in-der-rigaer-strasse-sind-gelassen,10809148,33525716.html

„Die in der Nacht eingesetzten Beamten stießen nach Polizeiangaben teils auf heftigen Widerstand von Anwohnern und Sympathisanten der linken Szene. Fünf Beteiligte wurden wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Körperverletzung vorübergehend festgenommen.“

14.01.2016, 17:22, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/rigaer-strasse-94-in-berlin-nase-voll-von-dieser-hobbyguerilla-a-1071994.html

„Unsere Kräfte haben diverse Türen aufgebrochen“, sagte Polizeisprecher Thomas Neuendorf am Freitag. „Darunter waren auch Türen, die zu Wohnungen gehörten. Als dann festgestellt wurde, dass es sich um Wohnungen handelte, sind sie nicht durchsucht worden.“

15.01.2016, http://www.berliner-zeitung.de/polizei/-rigaer-strasse-94-in-berlin-friedrichshain-polizei-bricht-ohne-durchsuchungsbeschluss-wohnungstueren-auf,10809296,33535214.html

„Interessant ist die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage die Polizei eigentlich diese „Begehung“ durchgeführt hat. Auf meine Nachfrage im Plenum antwortete Henkel: §17 des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG Berlin). Das ist die Generalklausel zur Gefahrenabwehr. Das heißt, die Polizei hat laut Henkel die Rigaer Str. 94 nicht im Rahmen der Strafverfolgung betreten, nicht also um der mutmaßlichen Täter des Angriffes habhaft zu werden, sondern um eine Gefahr abzuwehren. Deswegen betonte die Polizei auch mehrfach, man würde jetzt Flur, Keller, Dachboden und Hof des Hauses begehen, um nach gefährlichen Gegenständen zu suchen. Wenn die Polizei die Rigaer Straße 94 also zur Gefahrenabwehr „beging“, dann ist die Frage, was eine „Begehung“ rechtlich sein soll. Das ASOG kennt die „Begehung“ als polizeiliche Maßnahme nicht. Mittlerweile wurde auch bekannt, dass die Polizei Wohnungstüren aufbrach und Wohnungen betrat. Das ist ganz klar rechtswidrig. Laut Polizei hätten die Beamten die Wohnungstüren mit Kellertüren verwechselt.“

18.01.2016, 18:33, http://www.tagesspiegel.de/berlin/polizeieinsatz-in-der-rigaer-strasse-in-berlin-frank-henkel-ist-eine-gefahr-fuer-sicherheit-und-ordnung/12844036.html
„Die B.Z. zitierte einen leitender Polizeibeamten. Erklärtes Ziel sei es, die Autonomen zu verdrängen.

Die Razzia wirkt wie eine Vergeltung. Die Polizei drang rechtswidrig in die Wohnungen vor, zerstörte fast alle Türen. Freddy beklagt seinen kaputten Plattenspieler und einen Spiegel. Ein Foto zeigt Scherben eines zerschlagenen Bildes, die unter einer Bettdecke versteckt wurden. Zu den Spuren gehören auch zwei Tags. Ein Hunderschaftsbeamter hinterließ den Spruch „31. was here“ im Treppenhaus, an andere Stelle fand sich „All Zecken are bastards“.

20.01.2016, https://www.taz.de/Besuch-im-Hausprojekt-Rigaer-94-in-Berlin/!5267076/
„Die Begehung, mithin das Betreten der vom Eigentümer als allgemein zugänglich gewidmeten Grundstücksteile, also Durchgänge, Höfe, Treppenaufgänge sowie der sonstigen nicht vom Wohnungsbegriff umfassten Bereiche wie Keller, Dachböden und Dächer, stellt keinen rechtlichen Eingriff dar, da diese Grundstücks- und Gebäudeteile allein der Verfügungsmacht des Eigentümers unterliegen. Im vorliegenden Fall lag der Polizei Berlin die Zustimmung der Hausverwaltung im Auftrag des Eigentümers vor. Daher war keine Rechtsgrundlage erforderlich.

Zu 6.: Während des Einsatzes wurde die gewaltsame Öffnung von fünf Wohnungstüren notwendig.

a) Im Hinterhaus der Rigaer Straße 94 wurden im 2. und 3. Obergeschoss (OG) Wohnungstüren gewaltsamgeöffnet und die Wohnungen betreten, um einen im Bereich der Hausfassade zwischen dem 2. und 3. OG befindlichen Scheinwerfer abzuschalten, der eine erhebliche Blendwirkung entfaltete und dessen Position aufgrund seiner Blendwirkung nicht eindeutig zu lokalisieren war.

Unter den Fenstern befanden sich zudem Behältnisse, die weder nach ihrer Beschaffenheit noch nach ihrem Inhalt bewertet werden konnten. Im Schatten des auf die Einsatzkräfte gerichteten Lichtkegels waren an den Fenstern schemenhaft mehrere Personen erkennbar, deren Verhal-

tensweise nicht eingeschätzt werden konnte. Hierdurch war eine gegenwärtige erhebliche Gefährdung durch das Herabwerfen von Gegenständen auf die im Hof agierenden Einsatzkräfte zu befürchten, die unterbunden werden musste. Zu weiteren Beschädigungen durch Polizeikräfte ist es

nach bisherigem Kenntnisstand nicht gekommen.

Drucksache 17 / 17765, Antwort des Innensenators auf die Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Christopher Lauer (Piraten)

https://linksunten.indymedia.org/en/system/files/data/2016/02/1649386594.pdf
„Im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz erfolgten keine vorläufigen Festnahmen im Sinne der Strafprozessordnung und es wurden auch keine Personen zur Gefahrenabwehr in Gewahrsam genommen.

Drucksache 17 / 17766 Antwort des Innensenators auf die Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Christopher Lauer (Piraten)

https://linksunten.indymedia.org/en/system/files/data/2016/02/2147224413.pdf

Video https://vimeo.com/152987569
Rechtliche Einschätzung von Clemens Arzt, Direktor des Forschungsinstituts für Öffentliche und Private Sicherheit, FÖPS: https://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2016/01/einsatz-rigaer-94-polizeirechtliche-analyse.html
Wie es wirklich war

Es wurden fast alle Räume in der Rigaer 94 betreten und unterschiedlich intensiv durchsucht. Dabei spielte es keine Rolle ob es Kellerräume, Wohnungen oder Dachböden waren.

Zahlreiche Türen, Treppen und andere Gegenstände wurden zerstört und wodurch sich eine Festnahme von einer Identitätsfeststellung unterscheidet, wenn die davon Betroffenen gefesselt und misshandelt werden, ist eher fadenscheinig.

Die Zahlenangaben über Festnahmen schwanken, gegenüber der Presse in der Nacht vom 13. Januar, gab die Polizei manchmal 5 Festnahmen an, manchmal sollen 3 Personen festgenommen worden sein. Antwort auf die Anfrage des Piraten Christopher Lauer im Abgeordnetenhaus: es gab keine Festnahmen.

Die Wahrheit ist, ein Mensch wurde festgenommen.

Auch die Anzahl der „betretenen“ bzw. durchsuchten oder aufgebrochenen Wohnungen variiert in der polizeilichen Darstellung. Direkt nach dem Einsatz bestreitet ein Polizeisprecher, dass Wohnungstüren aufgebrochen wurden, in der Antwort auf die Anfrage des Piraten Lauer ist die Rede von fünf aufgebrochenen Wohnungstüren.

Für die Innenbehörde von Frank Henkel sind das nur Zahlenspiele, wie viele Personen haben den Kontaktbereichsbeamten angegriffen? Waren es vier? Oder erst einer und dann noch zwei? Oder keiner? Das spielt alles keine Rolle.
Die Begründung für ihr Eindringen verändert die Polizei mehrfach: Um flüchtigen Straftätern habhaft zu werden, nach dem ASOG, um den Rechtsstaat zu verteidigen, um ein Zeichen zu setzen, ohne Rechtsgrundlage da mit Einwilligung des Eigentümers….

Die Garantien über die Unverletzlichkeit der Wohnung, die der Staat mit dem Grundgesetz gibt und durch die Strafprozessordnung unter Richtervorbehalt einschränkt, spielen für die Berliner Polizei keine Rolle. Sie handelt nach Kriterien des unerklärten Ausnahmezustands.